Zum Gruße!
Noch ein paar Zeilen und Bilder.
Schöne Grüße
Matti
Auf die Savatskaja
Planmäßig hätten wir gestern mit dem Helikopter zurück nach Anadyr fliegen sollen. Aber Pläne spielen hier eine untergeordnete Rolle. Wichtiger ist die "normative Kraft des Faktischen". In Chadirka, so hören wir, hätten sie schon seit zwei Wochen auf den Heli gewartet, also waren die erst mal dran. Heute ist Samstag, am Wochenende fliegt der Heli nicht, auch nicht bei bestem Wetter so wie jetzt. Nächste Chance also am Montag. Tom hat vor einigen Jahren schon mal vier Wochen irgendwo gewartet und er sagt jetzt: "Die Savatskaja wartet noch auf Dich!"
Die Savatskaja ist ein etwas über 200 m hoher dreigipfeliger "Berg" 10 km von Meino entfernt. Mit ganz viel Fantasie sieht sie wie eine Miniaturausgabe des Piz Palü aus, ohne Schnee und Eis. Naja ...
Es wird eine trockene Wanderung werden, also Wanderschuhe und nicht die verdammten umgekrempelten Watstiefel. Fernglas, Kamera, GPS, leichtes Gepäck, Bärenspray und Svjetas Lunchpaket. Für die Wasserflasche wird sich eine Quelle oder ein Türmpel finden. Ich gehe hinterm Dorf um den Ausläufer des zweiten Flusses herum, dann direkt auf den Berg zu, der beim dritten Fluss erst mal hinter ein paar Vorhügeln verschwinden wird, den "Moränenhügeln". Im feinen Kies ist das Laufen mühsam, auf Bewuchs geht es leichter. So wird meine Linie nicht ganz geradlinig. Da wo ich auf die Hügel stoße, liegt ein toter Bär. Ich habe ihn schon vor ein paar Tagen aus der Ferne gesehen, inzwischen ist er ein paar Meter den Hang runtergerollt. Ein dunkler Fleck zeigt noch, wo er vorher gelegen hat. Bären, die dem Dorf zu nahe kommen, werden erschossen.
Die Tundra ist in den letzten Tagen schnell grün geworden, fast aller Schnee ist verschwunden und als ich die Hügel erstiegen habe und sich eine sanft ansteigende Ebene bis zur Savatskaja vor mir ausbreitet, gehe ich durch schöne Blumenteppiche. Arktischer Mohn blüht jetzt überall, der Germer in den feuchteren Senken, Silberwurz, Läusekraut und viele andere prächtige Blüten. Es gibt natürlich keinen Weg und überhaupt keine menschlichen Spuren bis auf ein kleines Eisengestell, das auf dem noch fernen Gipfel zu erkennen ist. Hier war schon lange keiner mehr, vielleicht seit Jahren. Es gibt hier nichts.
Vor dem eigentlichen Anstieg setze ich mich auf eine trockene steinige Kuppe. Hier sollte es Große Knutts geben, aber solange ich auch über die flirrenden Flächen schaue, ich kann keinen entdecken. Tom wird die Wanderung morgen wiederholen und großartige Fotos des Vogels mitbringen ... Es ist ganz still, ein wenig Wind fängt sich in den Steinen. Keine Vogelstimmen, keine fernen Motoren, das Dorf ist im Dunst gerade noch zu erkennen. "Ticha vakrug ... Stille ringsum", der Anfang von "Na sobkach Mandjurii, Auf den Hügeln der Mandschurei": Die Melodie setzt sich im Ohr fest. Als ich aufstehe, trifft mich ein lauter heiserer Schrei und ich brauche eine Weile, bis ich den großen Fuchs sehe, der jetzt in einem weiten Bogen um mich herum läuft und immer wieder in meine Richtung schreit.
Nach ein paar Serpentinengängen und ein paar Atempausen komme ich auf den Gipfel und zum rostigen und verbogenen "Triangel". Der Rundum-Blick über die Lagunen, Nehrungen, kleinen Seen und fernen Berge ist gewaltig und wieder ein wenig erschreckend. Es ist alles so riesig und menschenleer. Weit weg in Richtung des Dorfes sind Fahrspuren zu sehen, die sich in die Tundra eingezeichnet haben und die üblichen rostigen Fässer. Ich lege mich auf die warmen Flechten und Krähenbeeren und es dauert nicht lange, bis ein junger Seeadler über mir segelt und schaut, ob ich vielleicht essbar bin. Als ich ihm zuwinke, weiß er Bescheid und dreht ab und ich weiß, dass es ein Abschied ist: Hierher werde ich nie mehr zurückkommen.