India 2005

ferne Meere, Länder und Völker

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Matthias
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India 2005

Beitrag von Matthias »

In loser Folge möchten wir den Leser an dieser Stelle mit Skizzen und Erinnerungen an die Indienfahrt 2005 unterhalten. Zu Beginn zwei Auto-Themen:

Radfahrer überholen
Vier Radfahrer nebeneinander. Das ist neuer Rekord. Drei haben wir ja schon oft gesehen. Aber vier – die brauchen praktisch eine ganze Fahrbahn. Zumal auf zwei der Räder je zwei Mann sitzen, auf einem sogar drei. Also: wir müssen überholen. Da die Ortschaft schon fast zu Ende ist, fahren unsere beiden Driver schon wieder 70 oder 75 kmh. Die Radfahrer sind natürlich langsam, haben ja alle keine Schaltung und eiern deswegen ziemlich platzgreifend hin und her. Eigentlich können sie nicht so schnell ausweichen, wie es nötig wäre. Also erst mal Dauerhupe, wie fast immer. Völlig überrascht, daß sich offenbar ein Auto von hinten nähert, schauen sich die auf dem Gepäckträger Sitzenden um. Ob sie den in die Pedale Tretenden die Information weitergeben, ist so schnell nicht feststellbar. Ein wenig Seitwärtsbewegung kommt aber in die Gruppe. Wir sind jetzt auf wenige Meter herangerückt und müssen endgültig ausweichen. Auf der Gegenfahrbahn, eigentlich mehr in der Mitte der Straße, wuchtet sich uns mit ansehnlicher Geschwindigkeit ein kerniger, hoch beladener Lastwagen entgegen. Das war in der einfallenden Dämmerung so nicht gleich zu erkennen, denn der rechte Scheinwerfer des Lasters brennt nicht. Man konnte also optimistisch glauben, es nähere sich ein Motorrad. Wir sind jetzt mit der Motorhaube neben den Radfahrern, die inzwischen ein wenig vom Ernst der Situation begriffen haben und sichtbar Anstalten machen, ihre Nutzbreite zu verringern. Was natürlich für unseren Überholvorgang zu spät ist. Der Lastwagen ist mittlerweile zu beeindruckender Größe herangewachsen. Die sehr hohe Ladung ist wahrscheinlich der Grund, daß er nicht ganz an den Rand der stark gewölbten Fahrbahn ausweichen will. Jetzt arbeitet er verbissen mit der Lichthupe, um uns seine Existenz zu beweisen. Das ist ganz unnötig, finde ich, da wir ihn alle bemerkt haben. Unser Fahrer dreht währenddessen kräftig und ruckartig an seinem Lenkrad, gleichzeitig immer noch hupend und versucht, sehr weit nach links zu kommen, da er die Radler jetzt ziemlich überholt hat. Neben dem Asphalt ist ein vielleicht eineinhalb Meter breiter Bankettstreifen aus Erde und Schotter. Da liesse sich schon gut die halbe Wagenbreite unterbringen. Wenn nicht die Fußgänger, die um diese Tageszeit gelöst plaudernd und zu mehreren nebeneinander dort unterwegs wären. Jetzt wird klar, daß das Hupen unseres Fahrers doch einen gewissen Sinn hatte, denn die Flanierenden, von denen einer eine bemerkenswert große, so schnell nicht identifizierbare Last auf dem Kopf trägt, beginnen, weiter nach links zu gehen. Der Lastwagen ist jetzt direkt vor uns, auch er hat längst begonnen zu hupen – ein durchdringendes mehrstimmiges Signal. „Good Luck“ steht in bunten Lettern auf seiner Stoßstange und „Speed 40 kmh“, was natürlich völlig lächerlich ist bei seiner tatsächlichen Geschwindigkeit. Jetzt kann man den Fahrer gut erkennen, der doch noch etwas nach links ausgewichen ist. Und tatsächlich kommen wir zwischen ihm und den wegspritzenden Fußgängern durch, mit den linken Rädern gewaltig Staub aufwirbelnd. Es ging um Zentimeter.
Meine krampfartige Verspannung löst sich etwas und ich schaue nach hinten zu unserem zweiten Wagen, der sicher noch hinter den Radlern ist. Aber – und das verstehe ich jetzt überhaupt nicht – er ist direkt hinter uns!

Autos in Indien
Tata und Mahindra sind die beiden großen indischen Autohersteller. Wir waren oft mit mit Tata Sumo unterwegs, einem hohen Kombi mit Geländewagen-Anmutung, der aber auf 195/75 R 15 rollt und nur Heckantrieb hat. Ebenso der Mahindra Marshall, der wie ein richtiger Jeep aussieht, immerhin schon auf 215/75 R 15 steht, aber ebenfalls nur über 2 WD verfügt. Sehr „basic“ sind die Mahindra Commander, offene Wagen mit Stoffdach und ohne Türen. Form erinnert entfernt an Mercedes G, aber ebenfalls nur 2 WD. Die meist älteren Modelle machen einen selbstgebauten Eindruck. Es sind die Autos fürs Grobe. Sehr stabiler Spriegel mit Gepäckträger. Übliche Passagierzahl ca. 10 bis 12 incl. außen sich Festhaltende. Reserverad (Lauffläche durchgefahren, aber mit großen Unterlegflicken und Schlauch druckfest) liegt oft lose auf der Motorhaube, besonders, wenn der Dachträger voll genutzt wird. Geräuschentwicklung eindrucksvoll. Leckendes Kühlerwasser wird gelegentlich aus Kanister auf dem Dach zugeführt. Weit verbreitet auf dem Land sind die Threewheeler – wohl von verschiedenen Herstellern. Sehen aus wie Albertos Pizza-Trike, nur größer. Neben dem Fahrer ist noch mindestens ein Sitzplatz, in der Praxis ca. drei. Hinten eine Bank für drei Passagiere, incl. seitlich heraushängenden von 5 bis 6 Menschen zu nutzen. Hinter der Bank ein kleiner Laderaum, auf der hinteren Stoßstange ca. 3 Stehplätze. Windschutzscheibe zu etwa 50% mit Schmuck- und religiösen Aufklebern verdeckt.
Als wir in Chenali mit dem Boot ankommen und weiter nach Badhrak zum Bahnhof wollen, stehen sofort zwei Wagen bereit, um uns und unser umfangreiches Gepäck zu befördern. 900 Rupi (15 Euro) für die 70 km sind schnell ausgehandelt, es stellt sich jedoch heraus, daß wir für den selben Preis auch einen ganzen Bus bekommen können. Einen richtigen Linienbus mit 20 Sitzplätzen und einem großen, sehr schön blau und rot blinkenden Namensschild über der Frontscheibe. Also nehmen wir den Bus, das Gepäck paßt gut mit rein, und wir gehen auf eine unvergessliche Nachtfahrt mit offener Tür, wehmütiger Musik aus dem Radio und dem Schaffner, der natürlich auch mitfährt – ohne Geldtasche, aber mit einer Trillerpfeife eifrig den Weg für die VIPs aus dem Westen freiblasend. Irgendwie kommt unser Gespräch auf die Popgruppen unserer Sturm- und Drangzeit...
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Beitrag von Matthias »

Und als nächste Folge einige Auslassungen zu unserem Forschungsobjekt:

Calidris pygmaeus

Ob er wirklich zur Gattung Calidris gehört, wie neuerdings öfter zu lesen oder doch berechtigterweise in eine eigene Gattung Eurynorhynchus zu stellen ist, wird sich möglicherweise nicht mehr klären lassen: Der Löffelstrandläufer ist inzwischen eine der ganz seltenen Vogelarten der Erde. Wahrscheinlich gibt es nicht einmal mehr 1000 Brutpaare – mit stark abnehmender Tendenz. Da sein Brutgebiet nicht gerade vor unserer Haustür liegt und Expeditionen dorthin mit ansehnlichem logistischen und finanziellen Aufwand verbunden sind, ist der Wissenstand noch unvollkommen. Sicher ist nur, daß jedes Jahr ein paar weniger der kleinen Watvögel aus dem Wintergebiet zum Brüten in die Tundra der nordostsibirischen Tschuktschen-Halbinsel zurückkehren. Nur dort baut er sein Nest in die niedrige Bodenvegetation und brütet unter der arktischen Sonne seine Jungen aus. Warum der Bestand so rapide abnimmt, ist ziemlich unklar. An den Bedingungen in der Arktis kann es eigentlich nicht liegen, denn die haben sich nicht wesentlich gewandelt in letzter Zeit. Da liegt es nahe, im Überwinterungsgebiet nach Gründen zu suchen. Entlang der russischen Pazifikküste, aus Japan, Korea, China, Taiwan, Burma, Thailand bis nach Bangladesh, Indien und Sri Lanka gibt es Beobachtungen. Tatsächlich sind in den letzten Jahren einige der traditionellen Wintergebiete zerstört worden, meist durch Eindeichung. Damit fehlen einige Trittsteine auf dem 5000 bis 7000 km langen Zugweg. Auf den ersten Blick nicht viele, aber für eine hochbedrohte Vogelart ist dies vielleicht doch gefährlich.
Mehrere Expeditionen des internationalen „Spoon-billed Sandpiper Research Team“ führten in den letzten Jahren ins entlegene Brutgebiet, um erst einmal die grundlegenden brutbiologischen Dinge zu verstehen. Im Januar 2005 brach eine neunköpfige Gruppe erstmals nach Indien auf, da von dort mehrere glaubhaft erscheinende Beobachtungen gemeldet worden waren. Vier russische, drei englische und ein japanischer Ornithologe und ich trafen uns zu Jahresbeginn in Kalkutta, um von dort aus mit Hilfe indischer Freunde in die fraglichen Gebiete im Ganges-Delta und an der indischen Nordostküste aufzubrechen. Die Tsunami vom Dezember war nicht so weit nach Norden gedrungen, was besonders für die Verwandtschaft zu Hause beruhigend war.
Vier Wochen lang suchten wir nun auf verschlungenen, teils getrennten Wegen nach dem kleinen Freund. Viele hundert Kilometer waren wir per Bahn, per Auto und Rikscha, mit Schiffen und Booten, im Küstengebiet unterwegs. Tagelang tuckerten wir auf schlammigen Wassern durch das Ganges-Delta bis zu den letzten Inseln und Sänden ganz weit draußen. Wir dieselten die Flußarme und Kanäle des Mahanadi-Deltas entlang, ließen uns auf flachen Booten durch die riesige Chilika-Lagune fahren. Gesehen haben wir eine überwältigende Vogelwelt – z.B. sieben verschiedene Eisvogelarten, Nimmersatte, Ibisse, Seeschwalben und Möwen, Seeadler und Weihen, Watvögel und eine verwirrende Anzahl farbigster Kleinvögel. Ansehnliche Krokodile lagen am Ufer, Affen turnten in den Bäumen, einmal gab es Spuren vom Bengal-Tiger im Schlamm. Nur Calidris pygmaeus trafen wir nicht. Einige der veröffentlichten Sichtungen erwiesen sich als falsch: mangelhafte Artenkenntnis der Beobachter. Vielleicht ist der Vogel schon so selten geworden, daß die Chance, ihn in seinem riesigen Überwinterungsgebiet zu treffen, gegen Null geht. Oder aber wir waren doch im falschen Gebiet. In Indien hatte eben noch keiner so systematisch gesucht. Vielleicht gibt es auch keine festen Überwinterungsplätze, sondern eine Art Schleifenzug durch das riesige Areal zwischen Sibirien und Indien. Trotzdem: wir haben einige neue Hinweise bekommen, teilweise sehr glaubwürdige. Und wir kennen den (größeren) Teil des Ganges-Deltas noch nicht, der in Bangla-Desh liegt.
Und wozu der ganze Aufwand? Ist es nicht völlig egal, ob es einen bräunlichen, starengroßen Vogel mit löffelartig verbreitertem Schnabel gibt oder nicht gibt, der den Sommer in der unwegsamen Tundra Nordost-Sibiriens und den Winter irgendwo an den Küsten zwischen Japan und Indien verbringt? Ändert sich das Leben auch nur eines einzigen Menschen, wenn dieser komische Dingsbumsläufer von der Erde verschwindet? Fragen dieser Art muß jeder für sich beantworten. Für mich wäre die Welt ärmer ohne den Löffelstrandläufer.
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Beitrag von Matthias »

Wieder mal was Indisches:

Geier
Wer als Ornithologe nach Indien fährt, denkt an die verwirrende Vielzahl „kleiner bunter schneller Vögel“, die im Dickicht umherhuschen und von denen voraussichtlich ein guter Teil unidentifiziert entkommen wird. Aber er denkt auch an die großen, „eindeutigen“, z.B. die Geier. Acht Arten sind zu erwarten: Bart- und Schmutzgeier, Bengal-, Indischer, Schnee- und Gänsegeier, der große Mönchsgeier und der Rotkopfgeier. Geier: als Aasfresser mit denkbar schlechtem Ruf versehen, aber großartige Vögel, denen beim Kreisen zuzuschauen etwas sehr Befreiendes für die Seele hat. Geier in Indien; das waren die „Müllmänner“, wenn das profane Wort erlaubt ist. Sie bevölkerten in riesigen Schwärmen die Müllplätze und Abdeckereien, sie waren in den Metropolen genauso zu Hause wie auf dem Land. Totes Weidevieh, überfahrene Tiere, organische Hinterlassenschaften aller Art: sie sorgten dafür, daß dies verwertet wurde. Und: sie verhalfen den Gestorbenen der Parsen zum Übergang von den Schweigetürmen ins Jenseits.
Geier in Indien sind weitgehend Vergangenheit! Der Bestand der häufigsten Arten ist in den letzten Jahren um ca. 95% zurückgegangen. Der Anblick eines Geiers ist inzwischen ein Grund, dem Taxifahrer oder dem Bootsführer ein sehr lautes „Stop!!“ zuzurufen. Wir haben auf unserer vierwöchigen Reise durch West-Bengalen und Orissa nur zweimal Geier gesehen: 15 Bengalgeier in einem südlichen Vorort von Kalkutta, nicht weit von einer Lederfabrik und 3 sehr hoch über dem Ganges-Delta. An mangelnder Aufmerksamkeit hat es bei neun Ornis und ebensovielen Ferngläsern nicht gelegen!
Über die Gründe für den katastrophalen Rückgang wird natürlich eifrig spekuliert. Waren zu Beginn hauptsächlich Nierenversagen und die so genannte Eingeweidegicht, eine Harnstoffablagerung in inneren Organen im Gespräch, so stellt sich jetzt mehr und mehr heraus, daß ein in der Tiermedizin eingesetzter Entzündungshemmer namens Diclofenac der Hauptgrund ist. Viele Tierärzte in Indien und Pakistan verwenden es – offenbar weit über jedes vernünftige Maß hinaus. Die Kadaver werden von den Geiern gefressen, der Wirkstoff lagert sich in ihren Körpern ab und führt zu Unfruchtbarkeit und Organversagen. „Chemie an Ihrer Seite“. Der Werbespruch aus den Achtzigern drängt sich wieder einmal auf.
Für den Ökologen ist nun die Frage interessant, wer die Nische der Geier in den letzten Jahren besetzt hat. Hunde kommen in Frage, tatsächlich sahen wir viele. Der Vergleich mit der Zeit vor dem Geiersterben fehlt uns allerdings. Die teuren Tollwutimpfungen vor der Reise hätten wir uns aber sparen können. Schwarzmilane sind zumindest im städtischen Bereich ungemein häufig. Zusammen mit den Krähen sind sie sicher sehr effektive Müll- und Aasentsorger. Warum sie bisher nicht vom Medikament betroffen sind, ist unklar.
Indien wird auch ohne Geier weiter bestehen. Aber irgendein Unbehagen bleibt doch...
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Beitrag von Beda »

Lieber Matthias,
Ulrike und ich rätseln gerade darüber, wozu dieser Wirkstoff eigentlich in der Tiermedizin verwendet wird.
Diclofenac ist ein wichtiges, nichtsteroidales entzündungshemmendes (antiphlogistisches), schmerzlinderndes (analgetisches) und antirheumatisches Mittel (NSAR), das demzufolge in zahlreichen Handelspräparaten enthalten ist (z.B. in Voltaren, Allvoran, Diclo-Phlogont, Monoflam usw., alles eingetr. Wz.).
oder auch:
Die Anwendung bei Hunden und Katzen kann massive Magen-Darm-Schädigungen mit teilweise letalem Ausgang hervorrufen und ist daher strikt kontraindiziert. Die durch Verabreichung dieses Medikamentes hervorgerufene Erkrankung ist einer der häufigsten (human-)iatrogenen Notfälle bei Hunden.

Seltsamerweise finde ich Aussagen über Diclofenac in der Kälbermast nur in Nebensätzen z. B. in Foren von Bodybuildern und Triathleten.
Bei uns in der Tiermedizin schon lange verboten, kann man trotzdem weiter damit Geld verdienen.
Meine Empfehlung: Als nächstes Tiermehlfabriken, dann Rinderwahn exportieren :evil:
Grüße vom Galloperflüsterer ohne Galloper

Beda

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Matthias
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Beitrag von Matthias »

Indien ist schon so weit weg! Es wird Zeit für ein paar neue Zeilen:

Schlamm 1
Als wir auf Jumbo Island ankommen – nach zwei Stunden Dieselgetucker – ist die Ebbe auf dem tiefsten Stand und der hohe Sandstrand hundert oder hundertfünfzig Meter weit weg von der Stelle, bis zu der das Boot gekommen ist. Also nehmen wir unser Gepäck auf die Schultern und in die Hände und schwingen uns mit hochgekrempelten Hosen über Bord ins flache Wasser, um das restliche Stück zu laufen. Leider ist der erwartete feste, sandige Grund gar nicht fest und sandig, sondern besteht aus Schlamm, in den wir gleich mal bis über die Knie versinken. Kein Problem, noch kann man sich ja am Boot festhalten und das Gleichgewicht wieder finden und die Füße aus dem Schlamm ziehen. Allerdings sind die nächsten Schritte auch nicht leichter, denn der Grund wird wider Erwarten nicht fester. Jetzt sind wir schon ein paar mühsame Schritte vom Boot weg. Festhalten geht also nicht mehr. Wäre aber eigentlich schon notwendig, denn das Gleichgewicht zu halten mit dem Gepäck, dem zeitlupenartigen Befreien der Beine aus dem zähen Schlamm und dem irritierenden Wellengekräusel des Wassers ist fast unmöglich. Wir sehen alle ziemlich verbissen aus. Christoph schimpft wie ein Rohrspatz: „That’s rubbish, that’s totally rubbish, we got all stuck...“ Aber er sollte lieber nach vorne schauen. Zwanzig Meter haben wir sicher schon geschafft. Dummerweise ist Mahesh jetzt hingefallen. Irgendwie gelingt es ihm, das Spektiv über Wasser zu halten. Der Kapitän hat endlich begriffen, daß dies nicht die beste Stelle zum Landen war und kommt nun ebenfalls über Bord, um uns zu helfen. Erst mal zieht er Mahesh wieder hoch und nimmt ihm das Spektiv ab. Der kann sich jetzt fast unbeschwert weiterarbeiten. „You must go fast“ sagt der Kapitän. Da hat er sicher recht. Dann sinkt man nicht so weit ein. Aber es ist höllisch anstrengend. Ich muß jetzt stehenbleiben, denn ich kriege keine Luft mehr. Graue Haare sind schon was Tolles: man sieht sofort, daß es sich um einen hilfsbedürftigen Rentner oder so handelt. Also stapft der Kapitän zu mir heran, nimmt auch noch mein Spektiv und außerdem mich am Arm. Das ist sehr gut. Mein Mut kommt etwas zurück. Ich stiere nur noch nach vorn: noch fünfzig Meter. Kleine Brachschwalben fliegen über der Insel hin und her. Wahnsinn! Das sind Sandbrachschwalben! Eine neue Art für mich. Weiter! Obwohl ich nur noch keuche. Noch vierzig Meter. Links und rechts von mir höre ich am Plätschern und Schimpfen, daß die Freunde noch da sind. Ich schaue nach vorn, der Sand ist jetzt schon ganz nah. Los jetzt! Das letzte Stück. Bald muß der Grund sandiger werden. Auf die Brachschwalben zu schauen, ist doch nicht so gut: eine Bewegung zu viel. Also wieder starr auf den Strand zu. Der Kapitän läßt jetzt meinen Arm los und gleichzeitig wird der Boden fester. Gott, was für eine Schinderei! Die letzten Schritte im Wasser, dann beginnt der feste Sand. Schiffbrüchige sind nichts dagegen! Endlich schaue ich mich um und sehe, daß ich der Erste bin. Gute Gelegenheit, die Kamera rauszufummeln und die Anderen bei ihrer Quälerei zu filmen. Als wir endlich auf dem Festen sitzen, ziemlich wortlos noch, sehe ich, daß Gills Fuß blutet. Im Schlamm waren also auch noch Muschelschalen...
Zuletzt geändert von Matthias am 02.10.2006 - 13:38, insgesamt 1-mal geändert.
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Robby

Beitrag von Robby »

Hi
schön ist auch , dass ich seit dem Wintertreffen die wunderbaren Bilder dazu im Kopf habe

Herzlich Robby
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Matthias
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Beitrag von Matthias »

Noch ein wenig Indien:

Schlamm 2

Ein Jeep hat uns früh morgens nach Namkhana gebracht, wo wir ein Boot mieten (mit einem überaus fortschrittlichen Zweizylinder-Diesel), das uns nach Sagar Island bringen soll, der westlichsten großen Insel im äußeren Ganges-Delta. Zwischen ihr und dem Festland strömt breit und trüb der Hooghly River, der westliche Ganges-Arm. Auch in Namkhana gibt es große Gezeitenunterschiede, so sind die Anleger eigentlich immer naß und schlammig. Auf dem Bootsdeck wird eine frisch gespülte gelbe Plastikplane ausgebreitet als Sitzplatz für die Fremden und ihr umfangreiches Gepäck, zu dem heute auch eine Ladung unreifer Kokosnüsse gehört: Man schlägt ein Loch ins stumpfe Ende und trinkt den köstlichen Saft. Die Plastikplane ist noch naß und etwas rutschig, außerdem verdeckt sie die Löcher, die durch fehlende Decksplanken entstehen. Also: aufpassen! An zwanzig oder dreissig bunten Fischkuttern vorbei, die im Kanal vor Anker liegen, tuckern wir langsam nach Westen, Sagar Island entgegen. Der Schlamm ist allgegenwärtig. Alles ist Schlamm. Bunt gekleidete braune Menschen waten knietief, oberschenkeltief am Ufer entlang und ziehen kleine Fischnetze hinter sich her oder sammeln vom Wasser angetriebene Ästchen als Brennholz in große Körbe. Schwarze Boote sind ein paar Meter die Böschung hochgezogen zu den Hütten, die dort stehen. Eine glatte Rutschbahn führt von den Booten zum Wasser. Wenn sie bei Ebbe gebraucht werden, macht man sie dort oben startklar und rutscht schwungvoll und mit aufschäumender Welle zu Wasser.
Jetzt kommen wir aus dem Kanal heraus, fahren an einer flachen, dicht mit Mangroven bewachsenen Insel mit einem darüber segelnden White-bellied Sea Eagle vorbei und überqueren einen immer noch mehrere Kilometer breiten, auf der Karte namenlosen Flußarm. Vielleicht heißt er Channel Creek. Nach einer Stunde kommt Sagar Island in Sicht. Die Ebbe ist auf dem tiefsten Stand, endlose Sand- und Schlammflächen mit entmutigend vielen Watvögeln breiten sich vor dem festen, palmenbestandenen Ufer aus. Wir fahren weit hinunter an die Südost-Ecke der Insel und biegen vorsichtig in einen schmalen Kanal ein, der sich ins Innere der Insel windet. Ein großes, schön geschwungenes Schiff mit dunkelrotem Segel liegt vor der Einfahrt – etwas schräg auf einer glitzernden Schlammfläche. Chemagari Gang heißt der Kanal, der ja eigentlich eine natürlich Rinne ist, nichts Künstliches, wie die Bezeichnung Kanal vielleicht nahe legt. Am linken, südlichen Ufer verdichten sich die Hütten jetzt zu einer kleinen Stadt. Hellbraune, schilfgedeckte Hütten, insgesamt vier Beton-Anleger, Strom- und Telefonleitungen, indische Flaggen und Menschen. Alle sind eifrig beschäftigt. Mehrere Schiffe mit Sand liegen am Ufer und werden entladen – mit Körben, die auf dem Kopf getragen werden, von barfüssigen Arbeitern über schmale, schwankende Bohlen. Der Sand wird in einer grossen Ziegelei benötigt, deren Gebäude und Schlote sich über die braunen Hütten erheben. Für Ziegel braucht es natürlich auch Lehm und den gibt es – am Ufer! Ich denke kurz über den Unterschied zwischen Schlamm und Lehm nach, aber dann nimmt mich die Art und Weise, wie er gewonnen wird, doch mehr gefangen: Drei, vier Männer stehen ganz unten am Wasser im grauen Schlamm, bis zu den Säumen ihrer kurzen Hosen, und beladen mit ihren Händen eine Art Rutsche, die aus zwei zusammengenähten Plastiksäcken besteht, an deren Ecken Seile geknotet sind. Die Seile führen die steile Böschung hinauf zu einer weiteren Gruppe wenig bekleideter, schlammverkrusteter Männer. Die ziehen, wenn unten auf der Plane vielleicht ein halber oder dreiviertel Kubikmeter des zähen, schweren Schlamms liegt, die Ladung mit viel „Hey-Ja! Hey-Ja“ nach oben. Die ersten Meter helfen die unteren Männer noch ein wenig nach, dann wird die Böschung flacher.
Es hat keinen Zweck, über die Existenz oder Nicht-Existenz von Baggern, Lastwagen, Förderbänder oder Transportschnecken nachzudenken. Es hat einfach keinen Zweck!
Zuletzt geändert von Matthias am 02.10.2006 - 13:38, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitrag von Matthias »

Am 20. Oktober halte ich bei der OG in München einen Vortrag über unsere Indien-Tour. Näheres siehe hier: http://www.og-bayern.de/

Grüße
Matti
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Re: India 2005

Beitrag von Matthias »

Guten Tag!

Ich muss endlich mal diese wunderschönen Filmchen aus dem Brutgebiet des Löffelstrandläufers hier verlinken:
http://www.birds.cornell.edu/Page.aspx?pid=2529

Grüße
Matti
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Re: India 2005

Beitrag von Matthias »

Hi!

Hier gibt es Neues zu Diclofenac:

http://www.change.org/de/Petitionen/janez-poto" onclick="window.open(this.href);return false;čnik-european-union-diclofenac-the-vulture-killing-drug-is-now-available-on-eu-market?recruiter=90221319&utm_campaign=signature_receipt&utm_medium=email&utm_source=share_petition

Bitte die Adresse in die Adresszeile kopieren (lässt sich nicht verlinken) und zeichnen!

Matti
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Re: India 2005

Beitrag von Ulrike »

Lieber Matthias,

deshalb mussten so viele Geier in Indien sterben! Ich habe noch einen brauchbaren Link gefunden.

http://naturschutz.ch/aktion/petition-d ... ropa/74557" onclick="window.open(this.href);return false;

Grüße aus Lalo
Ulrike
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Re: India 2005

Beitrag von Matthias »

Hi!

Die Sunderbans, das riesige Mangroven-Gebiet im Ganges-Delta. 2005 war ich dort – auf der indischen Seite. Jetzt sind bei einem Tankerunglück auf der Bangladesh-Seite ein paar hundertausend Liter Öl kilometerweit in die Kanäle gelaufen.
http://www.theguardian.com/environment/ ... e-dolphins" onclick="window.open(this.href);return false;
http://www.bbc.com/news/world-asia-30448377" onclick="window.open(this.href);return false;

Zum Heulen
Matti
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Re: India 2005

Beitrag von Schlappohr »

:shock:
Hallo Matti,
schlimm, was so auf dieser Welt geschieht..
Traurige Grüße
Florian
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