Der Weg nach Oxiana
Verfasst: 23.01.2015 - 23:46
Guten Abend!
Seit Weihnachten begleitete mich ein Buch von Robert Byron mit dem Titel "Der Weg nach Oxiana". Es erzählt von einer Reise von Venedig über Palästina, Syrien, Irak, Persien, Afghanistan bis Indien in den Jahren 1932 bis 1933. Und bevor die Freunde, die es mir geschenkt haben, einen Pfahl aus ihrem nichtvorhandenen Zaun reissen, um damit zu winken, möchte ich zumindest drei Zitate aus dem Buch hier zum Besten geben.
Byrons Hauptinteresse galt der persischen und islamischen Architektur. Über einen heute wohl nur unter mittlerer Lebensgefahr erreichbaren Grabturm schreibt er:
"Der Turm steht nördlich der Stadt auf einem unebenen, künstlich angelegten und sehr alten Hügel.
Auf einem runden Fundament stehend, ragt der zylindrische milchkaffebraune Backsteinbau fünfzig Meter in die Höhe bis unter ein graugrünes konisches Dach, das wie ein Kerzenlöscher auf dem Schaft sitzt. Der Durchmesser des Fundaments beträgt fünfzehn Meter. Zwischen Fundament und Dach laufen zehn dreieckige, spitz vorspringende Pfeilerkanten, die über zwei schmalen Kufi-Schriftbändern liegen, das eine direkt unter dem Dachaufsatz, das andere über dem schmalen hinteren Tor. Die verwendeten Ziegel sind lang und dünn und so präzis geformt, daß die Pfeilerkanten einen messerscharfen Schatten werfen und eine außerordentliche Dynamik von Licht und Schatten entsteht. Es ist der Kontrast zwischen der vertikalen Bewegung und den horizontalen Schriftbändern, der den ganz besonderen, unvergleichlichen Charakter dieses Bauwerks prägt.
Das Innere ist leer. Früher hing dort Qabus‘ Leichnam in einem gläsernen Sarg vom Dach. Qabus starb 1007. Seit über tausend Jahren erinnert dieser Leuchtturm die Nomaden der zentralasiatischen Steppe an ihn und den Genius Persiens. Heute hat er ein größeres Publikum, das sich fragen wird, wie die Ziegeltechnik am Beginn des zweiten nachchristlichen Jahrtausends ein so heroisches Monument und ein so harmonisches Spiel von Oberfläche und Ornament hervorbringen konnte, wie es in diesem Material seitdem nie mehr erschaffen wurde.
(Wenn Reisende sich in Superlativen über Objekte äußern, die sie gesehen, die meisten Leute aber nicht gesehen haben, ist Mißtrauen angebracht. Ich weiß, wovon ich rede, bin selbst nicht ganz unschuldig. Wenn ich heute, zwei Jahre später, dieses Tagebuch noch einmal lese, in einer Umgebung, wie sie fremder nicht sein kann (Peking), bin ich aber noch immer der Meinung, die ich vor meiner Persien-Fahrt hatte und an jenem Abend in der Steppe bestätigt fand: der Gumbad-i-Qabus zählt zu den bedeutendsten Bauwerken der Welt.)"
Und über die berühmten, inzwischen zerstörten Buddha-Statuen von Bamiyan:
"Schibar (ca. 3000 , 36 km hinter Bamiyan), 9. Juni. – In Bamiyan möchte ich nicht lange bleiben. Die Buddhas sind unlebendig. Als Huan Tsang nach Bamiyan kam, waren die Statuen vergoldet, damit sie wie Bronze aussahen, und fünftausend Mönchen wohnten in den Höhlen. Das war im Jahr 632. Im selben Jahr starb Mohammed, und vor dem Ende des Jahrhunderts kamen die Araber nach Bamiyan. Aber erst hundertfünfzig Jahre später wurde die Mönche endgültig vertrieben. Man kann sich vorstellen, was die Araber von ihnen und ihren Götzenbildern in diesem blutroten Tal gehalten haben. Nadir Schah dürfte es ähnlich ergangen sein, als er tausend Jahre später die Beine des größeren Buddhas brach.
Dieser Buddha ist 53 Meter hoch, der kleinere 35 Meter, sie stehen 400 Meter auseinander. Der größere weist Spuren einer Gipspoberfläche auf, die rot bemalt war, vermutlich als Grundierung für den Goldauftrag. Keine der beiden Monumentalfiguren ist künstlerisch wertvoll. Aber das könnte man noch ertragen; abstoßend ist ihre Leere, ihre stumme Kraftlosigkeit. Selbst das Material ist unschön, denn der Felsen besteht nicht aus festem Stein, sondern aus lockerem Konglomeratgestein. Heerscharen von Arbeitern bekamen eine Hacke in die Hand gedrückt und mußten irgendeine grauenhafte hellenistisch inspirierte Darstellung aus Inden oder China kopieren. Das Ergebnis besitzt nicht einmal die Würde der Arbeit."
Schließlich noch über Fahrer und Fahrzeug:
"Wir verabschiedeten uns mit aufrichtigem Bedauern von Seyid Jemal. Von Mazar bis Peschawar waren es insgesamt 1344 Kilometer, die er uns gefahren hat. Er war nie schlecht gelaunt oder deprimiert wegen irgendwelcher Schwierigkeiten, sondern immer ruhig und fröhlich, pünktlich, höflich und zuverlässig. Während der ganzen Fahrt, über die schwierigsten Strecken, die man sich für ein Motorfahrzeug nur denken kann, haben wir nicht einmal erlebt, daß der Werkzeugkasten geöffnet oder ein Reifen gewechselt wurde.
Der Lastwagen war ein Chevrolet."
Das Buch ist großartig, besonders für Menschen, deren Herz auch in Zentralasien schlägt. Danke!
Schöne Grüße
Matti
Seit Weihnachten begleitete mich ein Buch von Robert Byron mit dem Titel "Der Weg nach Oxiana". Es erzählt von einer Reise von Venedig über Palästina, Syrien, Irak, Persien, Afghanistan bis Indien in den Jahren 1932 bis 1933. Und bevor die Freunde, die es mir geschenkt haben, einen Pfahl aus ihrem nichtvorhandenen Zaun reissen, um damit zu winken, möchte ich zumindest drei Zitate aus dem Buch hier zum Besten geben.
Byrons Hauptinteresse galt der persischen und islamischen Architektur. Über einen heute wohl nur unter mittlerer Lebensgefahr erreichbaren Grabturm schreibt er:
"Der Turm steht nördlich der Stadt auf einem unebenen, künstlich angelegten und sehr alten Hügel.
Auf einem runden Fundament stehend, ragt der zylindrische milchkaffebraune Backsteinbau fünfzig Meter in die Höhe bis unter ein graugrünes konisches Dach, das wie ein Kerzenlöscher auf dem Schaft sitzt. Der Durchmesser des Fundaments beträgt fünfzehn Meter. Zwischen Fundament und Dach laufen zehn dreieckige, spitz vorspringende Pfeilerkanten, die über zwei schmalen Kufi-Schriftbändern liegen, das eine direkt unter dem Dachaufsatz, das andere über dem schmalen hinteren Tor. Die verwendeten Ziegel sind lang und dünn und so präzis geformt, daß die Pfeilerkanten einen messerscharfen Schatten werfen und eine außerordentliche Dynamik von Licht und Schatten entsteht. Es ist der Kontrast zwischen der vertikalen Bewegung und den horizontalen Schriftbändern, der den ganz besonderen, unvergleichlichen Charakter dieses Bauwerks prägt.
Das Innere ist leer. Früher hing dort Qabus‘ Leichnam in einem gläsernen Sarg vom Dach. Qabus starb 1007. Seit über tausend Jahren erinnert dieser Leuchtturm die Nomaden der zentralasiatischen Steppe an ihn und den Genius Persiens. Heute hat er ein größeres Publikum, das sich fragen wird, wie die Ziegeltechnik am Beginn des zweiten nachchristlichen Jahrtausends ein so heroisches Monument und ein so harmonisches Spiel von Oberfläche und Ornament hervorbringen konnte, wie es in diesem Material seitdem nie mehr erschaffen wurde.
(Wenn Reisende sich in Superlativen über Objekte äußern, die sie gesehen, die meisten Leute aber nicht gesehen haben, ist Mißtrauen angebracht. Ich weiß, wovon ich rede, bin selbst nicht ganz unschuldig. Wenn ich heute, zwei Jahre später, dieses Tagebuch noch einmal lese, in einer Umgebung, wie sie fremder nicht sein kann (Peking), bin ich aber noch immer der Meinung, die ich vor meiner Persien-Fahrt hatte und an jenem Abend in der Steppe bestätigt fand: der Gumbad-i-Qabus zählt zu den bedeutendsten Bauwerken der Welt.)"
Und über die berühmten, inzwischen zerstörten Buddha-Statuen von Bamiyan:
"Schibar (ca. 3000 , 36 km hinter Bamiyan), 9. Juni. – In Bamiyan möchte ich nicht lange bleiben. Die Buddhas sind unlebendig. Als Huan Tsang nach Bamiyan kam, waren die Statuen vergoldet, damit sie wie Bronze aussahen, und fünftausend Mönchen wohnten in den Höhlen. Das war im Jahr 632. Im selben Jahr starb Mohammed, und vor dem Ende des Jahrhunderts kamen die Araber nach Bamiyan. Aber erst hundertfünfzig Jahre später wurde die Mönche endgültig vertrieben. Man kann sich vorstellen, was die Araber von ihnen und ihren Götzenbildern in diesem blutroten Tal gehalten haben. Nadir Schah dürfte es ähnlich ergangen sein, als er tausend Jahre später die Beine des größeren Buddhas brach.
Dieser Buddha ist 53 Meter hoch, der kleinere 35 Meter, sie stehen 400 Meter auseinander. Der größere weist Spuren einer Gipspoberfläche auf, die rot bemalt war, vermutlich als Grundierung für den Goldauftrag. Keine der beiden Monumentalfiguren ist künstlerisch wertvoll. Aber das könnte man noch ertragen; abstoßend ist ihre Leere, ihre stumme Kraftlosigkeit. Selbst das Material ist unschön, denn der Felsen besteht nicht aus festem Stein, sondern aus lockerem Konglomeratgestein. Heerscharen von Arbeitern bekamen eine Hacke in die Hand gedrückt und mußten irgendeine grauenhafte hellenistisch inspirierte Darstellung aus Inden oder China kopieren. Das Ergebnis besitzt nicht einmal die Würde der Arbeit."
Schließlich noch über Fahrer und Fahrzeug:
"Wir verabschiedeten uns mit aufrichtigem Bedauern von Seyid Jemal. Von Mazar bis Peschawar waren es insgesamt 1344 Kilometer, die er uns gefahren hat. Er war nie schlecht gelaunt oder deprimiert wegen irgendwelcher Schwierigkeiten, sondern immer ruhig und fröhlich, pünktlich, höflich und zuverlässig. Während der ganzen Fahrt, über die schwierigsten Strecken, die man sich für ein Motorfahrzeug nur denken kann, haben wir nicht einmal erlebt, daß der Werkzeugkasten geöffnet oder ein Reifen gewechselt wurde.
Der Lastwagen war ein Chevrolet."
Das Buch ist großartig, besonders für Menschen, deren Herz auch in Zentralasien schlägt. Danke!
Schöne Grüße
Matti