Neubezug von Autositzen

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Hirvi
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Neubezug von Autositzen

Beitrag von Hirvi »

Hallo und willkommen zu einem kleinen Sit-In.

In den meisten Autos sehen die Sitze mit der Zeit so aus, wie unserer hier: Nicht mehr wirklich sauber, oft ist das Kunstleder spröde oder zerrissen und die Keder (das sind die kleinen Würste in der Naht) kaputt.

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Es gibt also Handlungsbedarf. Die ganze Arbeit ist bei Weitem kein Hexenwerk und kann von einem handwerklich geschickten Menschen ohne große Schwierigkeiten selbst ausgeführt werden. Ich selber habe in unserem Rusty in der hinteren Sitzbank eine recht unfachliche aber doch sehr gelungene Aufpolsterung aus einer Isomatte und Schaumstoff gefunden. Da diese Arbeiten nicht sicherheitsrelevant sind, muss man da ja auch nun nicht wirklich perfekt arbeiten.
Ein paar Einschränkungen möchte ich aber doch noch machen.

Die Arbeit sollte man nicht angehen wenn:
1. Man noch nie eine Nähmaschine bedient hat. 2. Man keinen kennt der eine Nähmaschine hat und bedienen kann, wenn Punkt 1 schon mit Ja beantwortet wurde. 3. Wenn nur eine Nähmaschine vorhanden ist, die gerade mal in der Lage ist einen leichten Stoff zu nähen. 4. Man unbedingt Ledersitze will. Von Leder oder Kunstleder würde ich beim ersten Versuch abraten. Für Leder braucht man eine wirklich gute Nähmaschine, und Kunstleder lässt sich nicht korrigieren, wenn man mal eine Naht neu machen muss.

Für den Anfang solltet ihr euch für einen guten nicht zu dicken Stoff entscheiden, wenn das klappt kann man ja immer noch aufrüsten. Wenn ich unbeleckt damit anfangen würde, würde ich mich erstmal am Beifahrersitz ausprobieren. So bleibt der Wagen am Rollen, auch wenn es etwas länger dauert oder nicht sofort klappt.

An Werkzeug – Material (Alternativen in Klammern) wird benötigt:
1. Schere
2. Trapezklinge (Cutter)
3. Polsterklammerzange (Kabelbinder)
4. Seitenschneider
5. Nähmaschine (da gibt es keine Alternative)
6. Schaumstoffkleber (Sprükleber)
7. Schaumstoff 5mm bis 10mm
8. Nessel (altes Bettlaken)

Wer seine Sitze noch aufpolstern will (bei meinen war das nicht nötig), kann den Schaumstoff am einfachsten mit einem alten, elektrischen Bratenmesser schneiden. Für die Jüngeren: Das gab es von Moulinex und war der Hit der 80er Küche. Das Messer hat gegenläufige Schneiden und schneidet fast so gut wie eine echte Schaumstoffsäge. Was ich aber immer mache, ist eine Lage starkes Gewebe auf die Unterseite der Polster kleben, das schützt den Schaumkern vor den Wellenfedern und erhöht die Nutzungsdauer.
Jetzt aber das Schönste an der Sache: Wenn ihr den Sitz ausgebaut habt, und der vor euch auf der Werkbank oder dem Küchentisch steht, ist der zweite Schritt schon der Schwierigste. Wenn ihr den hinter euch habt ist das schon die halbe Miete. Zuvor solltet ihr aber Markierungen mit einem Filzstift machen. Dazu einfach rechts und links einer Naht und an wichtigen Punkten einen Strich mache. Ich markiere mir auch immer die Stellen wo z.B. eine Naht auf ein anderes Teil trifft. Die Markierungen helfen euch nachher, die neu angefertigten Teile wieder richtig zu verbinden. Wenn das geschehen ist, kommt schon der schwierigste Teil. Ihr müsst den Sitz kaputt machen. Das ist, glaubt mir, wirklich nicht einfach, wenn Ihr noch nie eine solche Arbeit gemacht habt. Aber keine Angst, das bekommt man auch wieder zusammen. Also auf geht es.

Als erstes muss der Sitz logischerweise in Sitz und Rücken zerlegt werden. Ich glaube, das muss ich hier nicht groß erklären. Da kann man auch nicht falsch machen. Das Einzige worauf ihr achten solltet, ist, dass der Rücken ganz nach vorne geklappt ist, damit die Feder möglichst entspannt ist. Von untern sieht der Sitz dann so aus. Hier findet ihr die Klammern, die den Bezug am Gestell fixieren. Diese könnt ihr einfach mit einem Seitenschneider durchkneifen.

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Danach den Bezug zum Polster hin nach oben anheben, also von außen nach innen arbeiten. Jetzt könnt ihr den Einzug (das ist der Bereich des Polsters, der nach unten gezogen ist) sehen. Der Einzug besteht aus einer Stofftasche, in der ein Stahldraht (diesen Draht bitte aufbewahren) liegt. Dieser Draht ist ebenfalls mit Klammern an einem in das Polster eingegossenen Draht befestigt. Die Position der Stofftasche am Bezug solltet ihr auch markieren.

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Wenn der Bezug nun vor euch liegt kommt das Trennen. Ich verwende dazu eine gerade Trapezklinge wie sie auch zum Teppichschneiden verwendet wird. Ein Cutter tut es natürlich auch, Hauptsache, es ist eine scharfe Klinge. Die Nähte sind meist sehr spröde und verhärtet und mit einer stumpfen Klinge schneidet man fast immer ins Material und nicht in die Naht.
Wenn alle Teile voneinander getrennt sind, sollte das ungefähr so aussehen.

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Um sich die Arbeit etwas zu erleichtern, kann man jetzt die aus Stoff bestehenden Teile bügeln. Bitte immer mit ordentlich Dampf und einem untergelegten alten Baumwolltuch. Beim Kunstleder sollte man darauf aber verzichten.
Die Stoffteile können jetzt auf das neue Bezugsmaterial gelegt werden. Ich lege immer einfache Flusssteine auf den alten Stoff, dadurch kann der nicht verrutschen und man erhält saubere Zuschnitte. Wenn ihr beide Sitze machen wollt, kann der andere Sitz gleich mit zugeschnitten werden wenn die Sitze von ihrer Form her gleich oder gespiegelt sind. Beim L ist der Beifahrersitz spiegelverkehrt zum Fahrersitz. Wer auf Nummer sicher gehen will, überträgt den Zuschnitt vorher auf ein Stück Pappe und wartet ab, ob der erste Sitz wirklich auch passt oder ob man doch noch was ändern muss. Bei den Teilen, die aus Kunstleder sind, ist das leider nicht so einfach mit dem Übertragen. Das Kunstleder hat sich meistens stark verformt und lässt sich nicht eins zu eins übertragen. Hier drückt man das Kunstleder einfach vorsichtig flach und arbeitet sich so Punkt für Punkt an die ursprüngliche Form heran. Das hört sich schwere an als es ist, mit etwas Geduld und einer dritten Hand ist das gut zu schaffen. Ganz genau muss das auch nicht sein, durch das Polster ist da schon Luft für die eine oder andere Abweichung. Wichtig ist, dass die schon erwähnten Markierungen mit übertragen werden.
Wenn alle Teile zugeschnitten sind, müssen einige Flächen noch mit Schaumstoff kaschiert (gefüttert) werden.

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Hierzu gibt es extra mit Watte versehene Schäume. Diese kann man aber auch durch einen einfachen Schaum (möglichst weich und nicht stärker als 10mm, je nachdem was eure Maschine so verkraftet) ersetzen, auf den man einen leichten Nessel (einfaches leichtes Baumwollgewebe) klebt. Zum Verkleben eignet sich einfacher Sprühkleber, die Verbindung ist nur als Nähhilfe nötig und hat nichts mit dem Endergebnis zu tun. Auf diesen vorbereiteten Schaum wird nun der Stoff gelegt und rund um mit einer Naht ganz nah am Rand fixiert. Dazu den Schaumstoff ein paar Zentimeter überstehen lassen.

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Ich klebe den Bezug vor dem Nähen auch auf den Schaum, um ein Verschieben beim Nähen zu verhindern, das muss man aber nicht zwingend. Der Aufbau ist von unten nach oben betrachtet, Nessel, Schaumstoff und Bezugsmaterial.
Als nächstes zeichnet man die Ziernähte auf, je nach Material mit Kreide oder Bleistift. Kreide lässt sich mit Druckluft wieder entfernen, beim Bleistift sollte man nicht so stark anzeichnen. Wenn alle Teile vorbereitet sind, wird der überstehende Schaum rund rum abgeschnitten. Jetzt kann man die Ziernähte nähen und auch die Stofflasche für den Einzug auf der Rückseite annähen.

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Am Einzug mache ich das meisten so, dass ich erst eine Naht von der angezeichneten Stoffseite nähe und dann mit einer zweiten Naht von der Rückseite die Stofftasche für den Stahldraht aufnähe. Die erste Naht dient mir so als Markierung für die zweite Naht. Nun sollten alle Verbindungen genäht werden, die dem Bezug eine plastische Form geben. Beim L ist das eigentlich nur am Rückenspannteil der Fall.
Eigentlich sind jetzt nur noch die Seitenteile mit den Sitz- und Rückenflächen zu vernähen. Jeder der schon mal genäht hat, sollte das hinbekommen, da es keine Kreuselstellen ( das sind Stellen wo das Material kontrolliert in Falten gelegt wird) oder sonstige Komplikationen gibt. Das einzige, was jetzt noch geübt sein will, ist die Kappnaht, die den Keder ersetzt. Wer natürlich einen Kederfuß hat, für seine Maschine, kann auch wieder Keder einnähen. Wer den Fuß hat dem ist diese Arbeit aber eh geläufig. Eine Kappnaht findet ihr an eurer Jeans meistens auf der Außenseite als Beispiel. Auf diese Naht kann man auch nicht wirklich verzichten, weil sonst die Nahtfahne nicht dort liegen bleibt, wo sie zu liegen hat. Die Nahtfahne sollte immer auf der Innenseite nach unten weisen, oder anders gesagt vom Sitz oder Rückenteil zum Seitenteil. Zum Schluss wird noch der Teil des Bezuges umgenäht, der mit den Klammern am Gestell befestigt wird. Gleichfalls die Bereiche, die am Gestell anliegen und später sichtbar sind. Hier zum Beispiel der Bereich am Rücken, wo die Verbindung zum Sitz erstellt wird.
Wenn der Bezug soweit vorbereitet ist, wird erst der Einzug am Polster befestigt. Dies geschieht genau wieder an den Punkten, an denen das auch zuvor befestigt war.

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Eigentlich verwendet man hier wieder die Klammern, aber diese lassen sich wunderbar durch Kabelbinder ersetzten.
Nun kann man den Bezug über das Polster ziehen und am Gestell mit leichter Spannung befestigen. Wen man zu stark zieht, kann es leicht passieren, dass später Sitz und Rücken im unteren Bereich nicht mehr sauber passen.

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Jetzt das Ganze wieder zusammenbauen und schon ist der erste Sitz neu bezogen.

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Frohes Werkeln wünscht euch

Volker
L 300 4WD BJ. 1988 -historic polished gold-
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Ulrike
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Re: Neubezug von Autositzen.

Beitrag von Ulrike »

Hi Volker,

danke für die Schritt für Schritt-Anleitung. Unsere Sitze brauchen gerade keine Polsterung, aber deine Tipps lassen sich auch auf andere Polster anwenden.

Liebe Grüße
Ulrike
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unbemerkt
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Re: Neubezug von Autositzen.

Beitrag von unbemerkt »

Hallo Volker,

und ein großes Lob und Dankeschön für die Anleitung. Ich bin zwar der Hoffnung, daß ich den Meister irgendwann direkt bei der Arbeit mit den Augen beklauen kann, aber die Anleitung ist allemal äußerst hilfreich.

Mit lieben Grüßen von Kay, welcher sich immer noch fragt, wie er als Rotzer Walkmantaschen mit Batteriefach und Schalterdurchlässen aus Jeansstoff genäht und seine Design-35-Flicken-Jeans gebastelt hat.

PS: Die Flicken der Jeans dienten dem Edelpunk als Maluntergründe für die markigen Endzeitsprüche der Lieblingsbands:

Brezhnev took Afghanistan.
Begin took Beirut.
Galtieri took the Union Jack.
And Maggie, over lunch one day....

Die Oberen taten offensichtlich damals recht daran, den Besten der Berufschule nicht zur Auszeichnung nach Kiev fahren zu lassen. :achselzuck: :mrgreen:
Ich brauche keine Uhr. Ich habe Zeit. (ein Berber, als ich ihm meine Uhr feilbot)

in Nutzung: Space Gear PA3W,
in Bearbeitung: Pajero V43W,
in Sammlung: Pajero Sport K96W, L200 Triton RHD, Pajero L141G, GFK-Kompressor-Pajero L042G, Explorer-Kabine
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