etwas Lesestoff:
http://files.vogel.de/vogelonline/pdfar ... 544478.pdf" onclick="window.open(this.href);return false;Abgaskontrolle: AU Backe!
Eine 666-Millionen-Abzocke nennen sie die Grünen. „Weshalb hat man bei der
AU nichts festgestellt?“, fragen Autofahrer beim Stichwort „Abgasskandal“.
Verständlich, denn die Abgasuntersuchung verkommt seit Jahren immer mehr
zur Farce. Ob Politik und Autoindustrie zulassen, dass sich jetzt endlich etwas
ändert?
04.08.16 | Autor: Steffen Dominsky
Stellen Sie sich bitte folgendes Szenario vor: Jeden Tag aufs Neue steht jemand vor Ihrer Werkstatt- bzw.
Bürotür und gibt ihnen gut gemeinte Ratschläge. Sagt Ihnen, was Sie machen bzw. besser lassen sollten.
Eine absurde Vorstellung? Das würden Sie auf gar keinen Fall zulassen? Tja, dann fragt man sich, weshalb
es unsere geneigten Volksvertreter tun. Tag für Tag lassen sie sich von hoch dotierten Lobbyisten ihr
Handwerkszeug erklären.
Acht Mann arbeiteten 2014 für BMW als Lobbyisten bei der EU. 14 waren es im Auftrag von Daimler. Und
Volkswagen? Stolze 43 Mann hatte der Konzern allein in Brüssel stationiert (rund 100 weltweit), um
Politikern Ratschläge zu geben, damit diese möglichst die Gesetze und Vorschriften verwirklichen, die für die
Wolfsburger ein Maximum an Dividende zur Folge haben. Nebenbei: Ob hier ein direkter Zusammenhang
zwischen Anzahl der Lobbyisten und der Rechtsauffassung von Abgasvorschriften besteht? Wer weiß?
Gespielter Witz
Wie dem auch sei: Der massiven politischen Macht der Automobilkonzerne auch hierzulande ist es zu
verdanken, dass in Sachen wirksame Kontrolle von Kraftfahrzeugabgasen seit 1.1.2008 langsam, aber
sicher der Vorhang fällt. Denn seit Einführung des zweistufigen Messverfahrens verkommt die AU für alle
Fahrzeuge mit Erstzulassung 1.1.2006 und später immer mehr zum gespielten Witz.
Dank dieses Verfahrens wird mittlerweile nicht mal mehr an jedem zehnten Fahrzeug wirklich am Auspuff
etwas gemessen. Und ist es dann auch noch ein moderner Diesel, misst man dank „hochmoderner“
Opazimeter-Messtechnik aus den Siebzigern in der Regel sowieso nichts. Liegt die Messauflösung dieser
Geräte bei k=0,5, bestenfalls 0,3, produzieren aktuelle Selbstzünder gerade mal noch einen k-Wert von 0,1.
Und zur mangelhaften Auflösung der Dieseltester kommt noch die Eichtoleranz von k=0,3 on top.
Zeitgemäße Messtechnik fehlt
So verwundert es auch nicht, dass mit dem Aufkommen des Dieselpartikelfilters (DPF) der Ruf nach
zeitgemäßer Messtechnik Ende der Nullerjahre immer lauter wurde. Denn schnell erkannte man: Gegenüber
manipulierten bzw. gar komplett entfernten DPFs war die AU völlig blind. Ergo rief man nach einer
Messtechnik, die erstens präzise misst und zweitens einen gravierenden Geburtsfehler der Diesel-AU ein für
alle mal beseitigten sollte: So wollte man endlich auch im Feld das messen, was bei der Typzulassung der
Fahrzeuge gemessen wird – die Partikelmasse und keinen Rauch.
2010 stellten die Unternehmen AVL-Ditest, Bosch, Hella-Gutmann und Saxon-Junkalor ihre Lösungen für
das Problem vor (siehe Ausgabe 36/2010). Die sogenannten Opazimeter der zweiten Generation maßen
sehr präzise die Partikelmasse. Dank dieser Geräte war und ist es endlich möglich, die Abgasqualität
moderner Dieselmotoren festzustellen. Einzige Hürde: Ein geeignetes Eichverfahren stand damals noch aus
und damit die offizielle Zulassung der Geräte für den AU-Einsatz. Das werde sich bis 2011, spätestens 2012
ändern, orakelten die Verantwortlichen seiner Zeit – sie sollten sich täuschen. Bis heute konnte sich die
staatliche Genehmigungsbehörde PTB zusammen mit den Eichbehörden nicht auf ein adäquates Eich-
Prüfverfahren im Feld einigen – oder durfte es nicht.
„Na gut, dann besser eine elektronisch AU als gar keine“, würde der Optimist sagen. Doch der Haken an der
Sache fängt schon bei der gesetzlich erlaubten Auslöseschwelle an. Denn während bei der
Typgenehmigung eine Null-Toleranz-Schwelle gilt, darf die OBD im Fahrzeug selbst eine extreme
Überschreitung der Grenzwerte einfach unter den Tisch kehren. Während bei der Zulassung ein Grenzwert
von 5 mg/km einzuhalten ist, muss die OBD erst bei einer ausgestoßenen Partikelmasse von 50 mg/km oder
mehr Alarm schlagen. Sie darf also knapp das Zehnfache des Erlaubten an Abgasen tolerieren – sauber!
Die Problematik OBD und auch Messgrößen bzw. Grenzwerte bei der AU trifft dabei keineswegs nur auf
Dieselfahrzeuge zu: So kam der TÜV Nord im Rahmen einer Qualitätsprüfung von Austauschkatalysatoren
für Benzinfahrzeuge im vergangenen Jahr zu dem ernüchternden Ergebnis, dass die Katalysatoren, die
bereits im Neuzustand die Grenzwerte überschritten hatten, bei einer AU nicht aufgefallen wären. Und auch
die OBD in Form der Motorkontrolllampe schlug bei den „Mogel-Kats“ keineswegs Alarm.
Ist die OBD eine „frei manipulierbare Größe“?
Warum, dürfte jedem halbwegs Kfz-Gebildeten klar sein: Die
Elektronik moderner Fahrzeuge spuckt nur das aus, was ihr
erlaubt wird auszuspucken. Das offenbarte der aktuelle, von
VW ausgelöste Abgasskandal sehr anschaulich. Bis um das
Vierzigfache überschritten die Modelle der Wolfsburger die US-
Grenzwerte im Fall NOx, bis um das Zehnfache zahlreiche
Hersteller die der Euro-Normen. Und die OBD? Sie schwieg –
was sollte sie als frei manipulierbare Größe auch sonst tun?
Solange die Abgase nicht in einer Form kontrolliert und
dokumentiert werden, die der Fahrzeughersteller nicht beeinflussen kann, sind die OBD und OBD-AU nicht
mehr als ein Feigenblatt für das öffentliche Umweltgewissen.
Im Rahmen der Studie „Emission Check 2020“ wurden bei ausschließlicher OBD-Prüfung an lediglich 1,9
Prozent der so untersuchten Fahrzeuge Mängel festgestellt. Bei Anwendung des heutigen zweistufigen
Verfahrens stieg die Quote auf 2,4 Prozent. Hingegen werden bei der zusätzlichen Endrohrmessung sogar
7,1 Prozent auffällige Fahrzeuge erkannt. „Dies bedeutet für Deutschland, dass bei dem bestehenden
Prüfverfahren circa eine Million Pkws mit abgasrelevanten Mängeln nicht identifiziert und repariert werden
und damit unnötig die Umwelt mit gesundheitsgefährdenden Schadstoffen belasten“, stellt der Verband der
TÜVs, VdTÜV, im Rahmen besagter Studie ernüchternd fest.
Bis heute keine Konsequenzen
Auch diverse andere nationale und europäische Studien haben genau das in der Vergangenheit wiederholt
belegt. Die Konsequenz der deutschen Politik daraus: bis heute keine. „Die Tür beim zuständigen
Bundesverkehrsministerium ist wie eine Wand aus Stein“, brachte es kürzlich ein mit der Thematik befasster
Experte auf den Punkt. „Stellen Sie sich mal nicht so an, die paar Partikel!“ bekam ein anderer von
ministerialer Seite noch kurz vor dem Abgasskandal zu hören, als es darum ging, die AU wieder mehr zu
einer echten Messung zu machen.
Doch wie so oft haben schlechte Ereignisse auch ihr Gutes. So haben die Verursacher des Abgasskandals
den Endrohr-Beführwortern quasi einen Bärendienst erwiesen. Denn während die vom Lobbyismus der
Autobauer geschwängerte Politikluft in Berlin die Wiedereinführung einer generellen Endrohrmessung seit
Jahren verweigert, dürften ihr dank des Skandals einige Argumente dafür nun abhanden gekommen sein.
So dient die AU zwar nicht dazu, Grenzwerte der Typgenehmigung bzw. Fehler dieser zu verifizieren. Wohl
aber ist es ihre Aufgabe, sogenannte „Gross-Polluter“ – auf gut Deutsch „Dreckschleudern“ – zu entlarven.
Aber genau das ist ihr mit den gegenwärtigen Messmethoden und Grenzwerten offenbar nur eingeschränkt
möglich. „Nicht umsonst wollen Holland und hat Tschechien bereits seine periodische Abgasüberwachung
reformiert, messen beide Länder bei Dieselfahrzeugen wieder generell am Endrohr“, weiß Harald Hahn,
Vizepräsident des Verbands der Werkstattausrüster, ASA, zu berichten.
Entsprechend fällt auch die Reaktion des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) aus, der
seine Konsequenz gezogen und sie in Form eines Positionspapiers kürzlich veröffentlicht hat. So sieht der
ZDK berechtigte Chancen, dass die AU wieder mehr zu dem wird, was die Abgasmessung für
Heizungsanlagen nach wie vor ist: eine echte Messung. In Sachen Gebäudetechnik lässt der Staat
schließlich auch nicht zu, dass diese sich selbst überwacht, frei nach dem Motto „Die Elektronik wird’s schon
irgendwie richten.“