Maria Daelen; eine starke Frau

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Beda
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Maria Daelen: "So schön, so geistreich"
Ärztin, Nazi-Gegnerin, Politikerin: Maria Daelen ist eine große Unbekannte – in ihrem unglaublichen Leben aber spiegelt sich ein ganzes Jahrhundert.
Von Maren Richter
26. Dezember 2019 DIE ZEIT Nr. 1/2020, 27. Dezember 2019

Maria Daelen: Eine "junge Frau von heute": Daelen-Porträt von Rolf Mahrenholz für die Zeitschrift "Die Dame" (1931)


Der Dirigent Wilhelm Furtwängler liebte sie; der Philosoph Max Horkheimer zählte zu ihren Freunden; Fabian von Schlabrendorff, der zum Widerstandskreis des 20. Juli gehörte, war ihr innigst verbunden. In so vielen Briefen und Tagebüchern berühmter Zeitgenossen taucht ihr Name auf. "Eine unglaubliche Persönlichkeit" – "so schön, so geistreich, so aufgeschlossen, so großzügig". Und doch ist sie eine Unbekannte geblieben.

Auf Fotografien aus den Zwanzigerjahren sehen wir sie als glamouröse junge Frau – kräftige blonde Locken umrahmen ihren sibyllinischen Blick –, später dann als Politikerin der jungen Bundesrepublik, voll von strahlendem Selbstbewusstsein inmitten selbstgenügsamer Anzugträger. Sie lebte die Emanzipation bereits, als andere noch dafür kämpften. 1903 wurde sie in Düsseldorf geboren, Maria Daelen, sprich: "Daalen", eine moderne Frau, selbstbestimmt und unabhängig. Wer war sie, in deren Lebenslauf sich so viele große Namen berühren, ohne dass ihr eigener es je in die Chroniken der Zeitgeschichte geschafft hätte?

Maria Daelen wächst während des Ersten Weltkriegs in einer Familie auf, die man heute wohl als Patchwork bezeichnen würde. 1905 lässt sich ihre Mutter scheiden, was damals einem gesellschaftlichen Eklat gleichkommt. Katharina von Kardorff-Oheimb ist zunächst isoliert, verliert ihre Kinder, die beim Vater, einem wohlhabenden Ingenieur, bleiben, doch bald heiratet sie erneut; es folgen mehrere Ehen, weitere Kinder. 1919 wird sie als eine der ersten weiblichen Abgeordneten in den Reichstag gewählt und kämpft für die Frauenbewegung. In ihrem Salon treffen sich Politiker aller Couleur.

Auch Maria Daelen wird über das weitverzweigte Netzwerk ihrer Mutter zahlreiche Kontakte knüpfen. Ende der Zwanzigerjahre geht sie nach Berlin, studiert als eine von wenigen Frauen Medizin – zu einer Zeit, da Professoren sich noch weigern, weibliche und männliche Studenten gemeinsam zu unterrichten. Doch Maria Daelen lässt sich nicht beirren und strebt ausgerechnet den Beruf des Chirurgen an, der als explizit männliche Profession gilt.

Vom Vater mit einem sicheren Vermögen versorgt, ergreift sie mit beiden Händen die neuen Freiheiten, die das städtische Leben in der Weimarer Republik bietet. In einem offenen roten Zweisitzer fährt sie durch Berlin und erscheint im Garçonne-Look: Sportlich, fast androgyn, trägt sie Herrenanzüge und dreht sich Zigaretten. Wer sagt, dass eine Frau eine Frau ist und ein Mann ein Mann und dass das Begehren nur eine Richtung kennt?

Maria Daelen flaniert mit dem Historiker Carl Jacob Burckhardt durch die Gärten Berlins, verbringt Abende mit den Schülern Stefan Georges, diskutiert mit dem Schriftsteller André Gide und dem Komponisten Gottfried von Einem deren neueste Werke. Mit einer Clique von Freundinnen, den Schriftstellerinnen Ruth Landshoff-Yorck, Erika Mann und Ruth von Morgen, zieht sie durch die Stadt. Besonders nah ist ihr Annemarie Schwarzenbach, die Schweizer Autorin und Journalistin, die mit ihrem Ford bis nach Afghanistan fährt, um das dortige Leben mit dem Fotoapparat zu dokumentieren. Maria pflegt ihre Freundin nach langen Morphium-Nächten; bald sind die beiden ein Liebespaar.

1935 dann – mit der großen Freiheit ist es vorbei, seit zwei Jahren sind die Nationalsozialisten an der Macht – begegnet Maria Daelen Wilhelm Furtwängler, mit dem sie eine leidenschaftliche Beziehung eingeht. Es ist mehr als eine Affäre, aber keine Ehe: Furtwängler, der in Trennung von seiner ersten Frau lebt, ist nicht geschieden, sodass Maria und er nicht heiraten können.

Sosehr sie dies bedauert, hätte sich die Anfang 30-Jährige kaum in ein konventionelles Eheleben fügen wollen. Anders als es damals (und noch lange Zeit danach) in einer Ehe üblich gewesen wäre, gibt sie ihren Beruf nicht auf. Statt Furtwängler auf jede seiner Tourneen zu begleiten, eröffnet sie, nach Jahren im Krankenhaus Westend und in der Charité, eine eigene Praxis für Innere Medizin. Nach Furtwänglers Konzerten besprechen sie seine Dirigate und diskutieren über Politik. Maria Daelen steht ihm zur Seite, wenn ihn künstlerische Selbstzweifel plagen. Nachdem er als Repräsentant des Regimes auf der Weltausstellung in Paris 1937 Wagners Walküre dirigiert hat, konfrontiert sie ihn aber auch mit der Frage, warum er sich den Nazis als Aushängeschild zur Verfügung stellt.

Furtwänglers Liebe tut die forsche Selbstbestimmtheit Maria Daelens keinen Abbruch, wie seine fast täglichen, mitunter rauschhaften Bekundungen zeigen. Er liebe sie "nicht sinnlich, nicht geistig, sondern ganz und gar", beteuert er. "Du bist nun meine Frau, als das betrachte ich dich." In ihrem gemeinsamen Haus in Bad Saarow spielt "Fu", wie seine Freunde ihn nennen, ihr einige Takte seiner ersten Sinfonie vor: "Es ist deine Sinfonie", erklärt er ihr, "und wird es immer bleiben." Das war 1940. Zwei Jahre später kommt es zum Bruch, als Furtwängler eine Liaison mit Marias jüngerer Halbschwester Elisabeth beginnt, die er 1943, nach der endlich vollzogenen Scheidung von seiner ersten Frau, heiratet.

Entsetzt und abgestoßen

Politisch gehen die Wege des Musikers und der Ärztin nun vollends auseinander: Während Wilhelm Furtwängler sich immer stärker den Nationalsozialisten andient, als Staatsrat und Vizepräsident der Reichskulturkammer auf den Reichsparteitagen auftritt und zu Hitlers Geburtstagen dirigiert, engagiert sich Maria Daelen im Widerstand.

Von Anfang an lehnt sie den Nationalsozialismus ab: "Ich fühle mich äußerst unglücklich u. ungeeignet im 'neuen Deutschland' zu leben", klagt sie ihrer Mutter im März 1933. Als sie ihren langjährigen Freund, den französischen Botschaftsmitarbeiter Roland de Margerie, zu einer NSDAP-Veranstaltung begleitet und die tobenden Massen in Erwartung des "Führers" sieht, ist sie entsetzt und abgestoßen.

Trotzdem verlässt sie das "neue" Deutschland nicht, so wie einige ihrer Freunde. In der Charité, wo sie bis 1938 als Internistin arbeitet, werden jüdische Kolleginnen und Kollegen entlassen oder verschwinden. Wer sich zur deutschen "Volksgemeinschaft" rechnen darf, profitiert von der Verdrängung – womöglich auch Maria Daelen. Als mit dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 der Zweite Weltkrieg beginnt, sind aber auch für sie die leichten Jahre endgültig vorbei. In den Bombennächten vom November 1943 geht nicht nur Maria Daelens Wohnung, sondern auch ihre Praxis in Flammen auf.

Das NS-Regime verfolgt seine Feinde unterdessen immer unerbittlicher, je aussichtsloser die Lage an der Front wird. Maria Daelens Freunde aus dem konservativen Widerstand wie Heinrich Graf von Lehndorff, Albrecht Graf von Bernstorff oder General Hans Oster werden spätestens nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 festgenommen. Maria Daelen selbst ist seit 1933 bei der Gestapo aktenkundig. Nun nutzt sie ihre Verbindungen zum Staatskrankenhaus der Polizei, wo es einen kleinen Widerstandskreis gibt, und zu den Familien der Widerstandskämpfer, um Informationen auszutauschen und die in den Prozessen zu erwartenden Vorwürfe zu eruieren.

Ihrem Freund Wilhelm Roloff, der ebenfalls nach dem 20. Juli festgenommen und wegen eines Suizidversuchs ins Staatskrankenhaus verlegt wurde, kann sie auf diese Weise lebenswichtige Hilfe leisten: Daelen macht den vernehmenden Beamten des Reichssicherheitshauptamtes ausfindig, besticht ihn mit Alkohol und Lebensmitteln und horcht ihn zu Roloff aus. Ihre Kollegen im Staatskrankenhaus zögern währenddessen die Rückverlegung hinaus. Roloff entgeht dadurch den ersten beiden Prozesswellen und schafft es, bis zur Befreiung 1945 zu überleben.

Der Name Maria Daelen begegnete der Historikerin Maren Richter vom Institut für Zeitgeschichte in München erstmals bei ihrer Arbeit in der Forschungsgruppe zur Geschichte der Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin. Richter befasste sich mit der Gesundheitsabteilung im Bundesinnenministerium. Daelen fiel ihr als eine der sehr wenigen Frauen auf. Sie folgte ihrer Spur und entdeckte etliche bisher unbekannte Dokumente.

https://geschichte-innenministerien.de/ ... ia-daelen/
Ihr Buch "Aber ich habe mich nicht entmutigen lassen". Maria Daelen – Ärztin und Gesundheitspolitikerin im 20. Jahrhundert ist kürzlich bei Wallstein erschienen (224 S., 22,– €)

Für andere kommt jede Unterstützung zu spät, für Heinrich Graf von Lehndorff etwa, der den Verhören und der Folter durch die Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße ausgeliefert ist. Immerhin kann Maria Daelen ihrem Freund die Gefangenschaft ein wenig erleichtern, indem sie Essen und Zigaretten in seine Zelle schleust. Als Lehndorff der Vollstreckung des Todesurteils entgegensieht, dankt er im Abschiedsbrief an seine Frau seiner "treuen Freundin" Maria – die in den letzten Kriegsmonaten ihrerseits ins Gestapo-Hauptquartier zitiert wird. Sie solle endlich ihre arische Abstammung nachweisen, sonst werde sie unter die "Jüdischen" eingereiht. Mutig soll sie dem Gestapo-Beamten entgegengeworfen haben, sie sehe "eh schon aus wie der Wunschtraum von Goebbels".

Unterdessen versinkt Berlin im Chaos. Die sowjetische Armee steht vor der Stadt. Kurz vor Kriegsende flüchtet Maria Daelen wie viele andere Berliner Richtung Süden. Sie lässt alles zurück, ihre Freunde, das Haus in Bad Saarow. Zurück bleibt dort auch das Gästebuch: In vielen Einträgen offenbart es die Gedanken der Männer des 20. Juli, mit denen Maria Daelen in Kontakt stand.

In wilder Slalomfahrt über Bordsteine und Verkehrsinseln

Nach Kriegsende arbeitet sie als Ärztin in alliierten Internierungslagern und in Nothilfe-Camps der UN. Schließlich lässt sie sich in ihrer alten Heimat Wiesbaden nieder, beendet ihre praktische Tätigkeit als Ärztin und wird Medizinalbeamtin im hessischen Innenministerium. Bald nach dem Krieg reist sie, als einzige Frau in einer Gruppe von Ärzten, in die USA und studiert das dortige Gesundheitssystem. Schnell knüpft sie bei dieser Gelegenheit Verbindungen, etwa zu dem Bankier und Förderer der deutsch-amerikanischen Beziehungen Eric M. Warburg.

Reibungslos verläuft ihr Weg in die Politik nicht: Als sie 1953 mit 50 Jahren ins Bonner Innenministerium wechselt, eckt sie dort immer wieder an. Im Beamtenalltag der Fünfzigerjahre herrschen teils antiquierte Umgangsformen vor. Daelens männliche Kollegen – und das sind die allermeisten – tragen Hut und diktieren Schriftsätze. Zahlreiche Staatsdiener haben bereits in der Zeit des Nationalsozialismus in der Verwaltung gearbeitet, während Maria Daelen Widerstand leistete. Überhaupt ist nichts an ihr "behördenhaft". Den damaligen Vorstellungen, wie eine Frau sich zu verhalten habe, will Maria Daelen nicht entsprechen. Sie fährt mit dem Mercedes-Cabrio am Ministerium vor und strahlt eine lässige Weltläufigkeit aus. Das macht Eindruck – man begegnete ihr mit größtem Respekt, berichten ehemalige Kollegen –, erregt aber auch stillen Argwohn. Als sie nach einem Empfang im Kanzleramt eine Ampel rammt und in wilder Slalomfahrt über Bordsteine und Verkehrsinseln die Flucht antritt, kommt die Story prompt als Bonner Klatsch und Tratsch in den Spiegel.

In ihrem Freundeskreis finden sich wie seit den Zwanzigerjahren viele bekannte Namen. Da sind Max Horkheimer und der SPD-Mann Carlo Schmid, die Schauspielerin Käthe Dorsch und der Regisseur Erwin Piscator. Der Musiker Peter Igelhoff (In meiner Badewanne bin ich Kapitän) ist so beeindruckt von ihr, dass er ein Lied für sie komponiert. Ihr Leben erscheint Freunden wie "ein unentwegter Karneval". Für Roland de Margerie ist Maria Daelen einer der wenigen Menschen, die "wirklich unabhängig" sind.

Der Beruf steht für sie dabei wie eh und je an erster Stelle (ihren langjährigen Partner, den Verleger des Musikverlags Schott Ludwig Strecker, heiratet sie erst nach ihrem Ausscheiden aus dem Staatsdienst). Im Bundesinnenministerium übernimmt sie alsbald ein eigenes Referat, "Internationale Gesundheitspolitik", und engagiert sich als deutsche Delegierte in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – ein Politikfeld, das für die junge Bundesrepublik völlig neu ist. Tastend trägt sie dazu bei, ihr Land nach Jahren der nationalsozialistischen Isolation in die internationale Gemeinschaft zurückzuführen.

Als die DDR 1968 die Aufnahme in die WHO beantragt, erregt Daelens Arbeit in den internationalen Gremien nach Jahren der Nichtbeachtung erstmals größere Aufmerksamkeit. Durch geschicktes Strippenziehen kann die westdeutsche Delegation damals verhindern, dass es so aussieht, als erkenne die Weltgemeinschaft die DDR als zweiten deutschen Staat an. Zum Gelingen dieses Drahtseilaktes trägt Daelen wesentlich bei. Bei den entscheidenden Verhandlungen aber muss sie ihren männlichen Vorgesetzten die Bühne überlassen. So stößt auch Maria Daelen an Grenzen, die ihr als Frau gesetzt sind. Eine höhere Position im Ministerium bleibt ihr ebenfalls verwehrt. Zu stark ist die Dominanz der Männer. Eine Frau als Chef? Das ist – noch – undenkbar.

Auf einer ihrer letzten beruflichen Reisen notiert sie 1969 in Addis Abeba nicht ohne Bitterkeit: "Die Männer empfinden die meisten Frauen als Suffragetten, und ich glaube, ich bin als Paradepferd mitgenommen worden." Auch als sie 1968 von der französischen Regierung das Offizierskreuz des Ordens für Öffentliche Gesundheit verliehen bekommt, schreitet man im Ministerium beherzt ein: Sie könne nicht den gleichen Orden wie ihr – männlicher – Vorgesetzter tragen. Maria Daelen muss die Auszeichnung zurückgeben und sich mit dem rangniedrigeren Ritterkreuz bescheiden.

Resigniert hat sie deshalb nicht. So wie sie es auch zuvor nie getan hat. "Die Anerkennung meiner Arbeit kommt langsam", schreibt sie 1959 in einem Brief an ihre Mutter – "aber ich habe mich nicht entmutigen lassen." Noch im Ruhestand reist sie zu internationalen Ärztekongressen. Sie gründet die Stiftung Pro Musica Viva, die – durch Neuauflage und Wiederaufführung – jüdische Komponisten rehabilitieren soll, die während des "Dritten Reiches" ermordet oder deren Werke von den Nationalsozialisten als "entartet" diffamiert wurden. Und sie beginnt zu malen, "unversehens, als hätte sie mit einemmal Versäumtes nachzuholen", wie ihr Freund Gottfried von Einem schreibt.

Am 5. Oktober 1993 stirbt Maria Daelen, 90 Jahre alt, in ihrem Haus in Georgenborn bei Wiesbaden. Bis zuletzt hat sie hier ihre Freundinnen und Freunde um sich versammelt.
https://www.zeit.de/2020/01/maria-daele ... ettansicht

Ob das Buch interessant ist, weiß ich nicht.
Grüße vom Galloperflüsterer ohne Galloper

Beda

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