Camping: Heimvorteil

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Beda
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Camping: Heimvorteil

Beitrag von Beda »

Morgen zusammen!
Camping: Heimvorteil
Vom Wohnmobil träumen gerade viele. Ulrich Stolte ist schon ewig damit unterwegs. Er weiß, was ein Camper braucht, was man niemals kochen sollte und wie man am Meer so einparkt, dass man selig wie im Boot schläft

Von Ulrich Stolte
12. August 2020, 16:41 Uhr Editiert am 16. August 2020, 7:09 Uhr DIE ZEIT Nr. 34/2020, 13. August 2020
DIE ZEIT 34/2020


Bild
Es muss kein XXL-Van mit eingebauter Regendusche oder Garage für den Smart sein. Ein alter VW-Bus bringt einen näher an die Natur, zum Wind und zu den Möwenschreien. © Evelyn Dragan

Ich habe ein Ferienhaus auf der Schwäbischen Alb, in Portugal, im Harz und in Österreich, je nachdem, wohin ich es fahre. Mein Wohnmobil, ein VW-T3-Campingbus, ist 33 Jahre alt und seit 19 Jahren in meinem Besitz. Und weil ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe, an jedem Standplatz rund um meinen Bus den Müll aufzusammeln, wird die Welt überall da, wo ich hinfahre, ein wenig schöner, egal ob in der Bretagne oder im Havelland.

Im Wohnmobil ist man immer unterwegs und immer zu Hause. Man kann verreisen und bleibt trotzdem in den eigenen vier Wänden, was in Zeiten von Abstandsregeln und Lockdowns ein unschlagbarer Vorteil ist. Als #vanlife liegt das ehemalige "Caravaning" sowieso schon eine Weile im Trend. Aber zurzeit halten viele den Urlaub in der privaten Wohnwabe ganz einfach für die sicherste Form des Herumkommens. Die Zahl der Zulassungen hat in Deutschland neue Rekordhöhen erreicht, inzwischen sind es mehr als eine halbe Million. Wobei viele #vanlife-Träumer vorerst im Traum stecken geblieben sind – weil so ein Van ja auch erst mal bezahlt und beherrscht werden muss.

Welches Modell?

Entgegen der landläufigen Meinung braucht man für das Wohnmobil-Erlebnis nicht sehr viel Geld, nur Fantasie und etwas Flexibilität. Auf der Schwäbischen Alb traf ich neulich eine Krankenschwester, die in ihrem Ford Fiesta die Sitze umklappte, eine Schaumstoffmatratze reinlegte und darauf übernachtete. "Ich bin ja nicht so groß", sagte sie voller Grandezza. Sie lebt, glaube ich, von Yoga-Seminaren. Die nächste Stufe im Caravaning wäre ein Autodachzelt für 2000 Euro mit harter Schale, was schon ganz gut taugt für den Sonnenuntergang im Grünen. Für manche Automodelle wie den VW Caddy gibt es im Netz auch Ausbau-Anleitungen für Sperrholzmöbel und Bett.

Wer ein richtiges Wohnmobil will mit Klo, Dusche und Gasherd, der sollte sich zuerst eins mieten, um herauszufinden, ob er mental und physisch dafür gerüstet ist, zugleich im Freien zu sein und sich trotzdem den ganzen Tag lang den Kopf an Einbaumöbeln zu stoßen. Sogar nach 19 Jahren beginnt mein Camping-Morgen meist mit einem dumpfen Bumm, weil ich vergessen habe, dass über der Bettdecke gleich die Fahrzeugdecke kommt. Dafür erreiche ich, ohne aufzustehen, den Kleiderschrank, die Bordbibliothek, den Kühlschrank und das Waschbecken. Wer glaubt, er brauche im Urlaub Bewegung, der kann ja weiterfahren.

Als erstes Mietmobil, vielleicht aber auch für immer, empfiehlt sich ein kleineres Modell. Je kompakter, desto flexibler ist man später beim Parken. Mit einem Campingbus kommt man oft auch noch in Tiefgaragen. Übrigens: Immer schön die Durchfahrtshöhen an Brücken, in Tunneln und Parkhäusern beachten!

Je größer man sein Wohnmobil wählt, desto widersprüchlicher ist man am Ende unterwegs. Als Camper will man das einfache Leben nahe der Natur, aber die Wohnmobile werden immer festungsartiger und trennen einen immer mehr von Wind und Möwenschreien. Den Vogel abgeschossen haben umgerüstete Lastwagen mit eingebauter Regendusche oder Garage für den Smart, wie man sie auf der weltweit größten Caravan-Messe, der CMT in Stuttgart, bestaunen kann. Auf einem Campingplatz am Bodensee stand mein kleiner VW-Camper einmal ziemlich mickrig zwischen all den Hightech-Wohnmobilen mit ihren hoch aufragenden Satellitenschüsseln und in den Himmel gestemmten Solarpanels. Mein Nachbar erhob sich von seinem Alu-Klappstuhl unter der fest eingebauten Sonnenmarkise, nahm seine Frau tapfer in den Arm und sagte mit tränenerstickter Stimme: "So einen Campingbus hatten wir auch einmal. Das war unsere schönste Zeit."

Wie groß oder klein Ihr Wohnmobil auch ist: Packen Sie, bevor Sie starten, alles in den Stauraum. Alles. Es darf innen nichts mehr rumliegen, weil es sonst den ganzen Urlaub lang im Weg sein wird. Nehmen Sie auch nie einen Koffer mit, nur weiche Taschen, die Sie zusammenfalten und mühelos einknuffen können. Was nicht in die Staufächer geht, lassen Sie daheim. Camper zu sein bedeutet allerdings keineswegs, dass Sie nun gezwungen sind, in Schlafsäcken zu schlafen. Nehmen Sie bequeme Decken und Kopfkissen mit. Eine richtige Daunendecke schlägt mühelos jeden Alaska-Polar-Schlafsack, und man kann kuscheln.

Wo geht es hin?

Wer Wohnmobil fährt, steuert kein Ziel an. Er nimmt eine bestimmte Richtung, da ist die Auswahl nicht schwer, es gibt ja nur vier. Oft zieht es den Van nach Norden, meistens ans Wasser. Vielleicht, weil ein Wohnmobil eine nautische Seele hat? Da gibt es Landstrom und Bordstrom, da gibt es Tanks, die voll sein sollten, und Kojen, die klargemacht werden müssen. Man fährt auch nicht einfach los. Mein Bus mit den 70 PS und den 2,8 Tonnen Eigengewicht nimmt majestätisch Fahrt auf mit der Geschwindigkeit eines Eisbergs und der Aerodynamik einer Schrankwand.

Wichtig ist die Wahl des Schlafplatzes (mehr dazu ganz unten). Am Meer stellt man das Wohnmobil quer zur Wasserlinie, öffnet Luken und Heckklappen und beobachtet von der Matratze aus, wie der Tag in Bläue und Wind versinkt. Das Meer brandet einen an, fantastisch! Als wäre man auf einem Boot und steuerte nach den Sternen. Von dieser Warte aus lernt man viel über den Kosmos. Dass sich die Sterne drehen, liegt übrigens nicht ausschließlich am Rotwein, den es zur Belohnung nach der anstrengenden Ausfahrt gibt.

Anfänger im Caravan meinen immer, sie müssten irgendwo ankommen und in drei Wochen die ganze Algarve abfahren, Stadturlaub in Lissabon inbegriffen. Dabei hat es gar keinen Zweck, möglichst viele Kilometer abzuspulen, um da und da hinzukommen, denn Blumen blühen auch vor der Haustür. Wo ist überhaupt "da"? Im Wohnmobil ist "da" immer hier. Man bräuchte gar nicht wegzufahren. Ich weiß von einem Schweizer, der für die etwa 300 Kilometer von Bern nach Stuttgart eine Woche brauchte. Zwei Tage war er Fossilien suchen auf der Schwäbischen Alb, er fand eine Muschel. "Das ischt ja wunderbar", sagte er begeistert.

Wie richte ich mich ein?

Auf Prospekten sieht man die Wohnmobile oft einsam am Palmenstrand stehen oder in der Wüste von Arizona. Doch ein einsamer Standplatz heißt noch lange nicht, dass man dort auch den lonesome cowboy spielen sollte. Wohnmobil-Urlaube machen zu zweit erst richtig Spaß und noch viel mehr, wenn die Kinder dabei sind. Denn sie nehmen das Wohnmobil als ein einziges Spielhaus wahr. Sie klappen das Dach auf und errichten ihre Bude darin, sie schnallen ihre Puppen auf den Rücksitz und stellen in der Kochnische Kekse her nach altem Rezept: Man nehme eine Keksschachtel und entferne die Pappe: fertig! Mein alter Weggefährte Zlatko, der mehr Kinder betten musste, als ins Wohnmobil passten, behalf sich mit folgendem Trick. Zwischen Fahrer und Beifahrersitz legte er ein Brett, darauf packt er eine Matratze und darauf seinen Jüngsten. Clever wie der Bub war, täuschte er unbequeme Nächte vor und bekam als Entschädigung regelmäßig ein extra Eis.

Nach Jahren der Familienurlaube werden die Wohnmobile oft selbst in die Familie aufgenommen, dazu brauchen sie natürlich einen Kosenamen. Mein 33-Jähriger heißt "Weißer Bär", was sich vor allem dem urwüchsigen Sound verdankt, mit dem der Diesel durch die alten Motordichtungen röhrt. Besonders beliebt sind Namen wie von Verwandten aus längst dahingefahrenen Zeiten, "Tante Hilde", "Kurtchen" oder "Willi", die nach einem Stück Butterkuchen klingen oder einem Brot mit zwei Zentimeter Leberwurst drauf.

Apropos Wurst: Kurzgebratenes mit Salat oder Pfannkuchen, Rösti und Co. eignen sich am besten für die Campingküche, während man den Geruch lang köchelnder Schmorgerichte nur schwer aus den Polstern kriegt und die Rotweinsauce eklig an den Fenstern kondensiert. Weil der Kühlschrank klein ist, kauft man sich die Zutaten frisch im Urlaubsort am Markt. So kommt man auch leicht auf neue Ideen. Nachdem mein Gastank mal wieder unerwartet leer geworden war, habe ich Putenschnitzel eine Stunde lang auf sechs Teelichtern gegart und mich im Stillen als Erfinder eines neuen "Low Temperature Cooking"-Trends gefeiert.


Und bei einer Panne?

Das Wohnmobil macht flexibel – wenn man es selbst ist. Geübte Reisende packen die Bergstiefel ebenso wie Pumps oder Lackschuhe ein. Man kann ja vorher nicht ahnen, ob man auf dem Weg zur Wiener Oper am Watzmann hängen bleibt. Und da man sein Bett dabeihat, macht es nichts aus, in irgendeinem Dorf zu stranden und auf Ersatzteile zu warten. Letzten Sommer wurde in Köln meine Einspritzpumpe undicht, ausgerechnet am Sonntag. Ich übernachtete auf dem Parkplatz der Werkstatt. In der Kneipe nebenan war ich nach einem Heimspiel des Effzeh mit allen per Du und hatte mit dem Wirt den Spielerkader für die kommende Saison ausgearbeitet. Am Montagmorgen – reichlich verkatert – bekam ich die Dichtung geschenkt. "Is joot, Junge, dat lohnt sich nit", sagte der Werkstattleiter. Mit dem Wohnmobil lernt man, dass die Menschen gut sind, sobald man ihnen die Chance dazu lässt.

Natürlich hört man Geschichten von Wohnmobilen, die geplündert werden. Mein Kumpel Rainer nimmt einfach einen Spanngurt, wickelt ihn um die Griffe von Fahrer- und Beifahrertür und zieht sie von innen ganz fest zu, sodass sich die Türen keinen Spalt öffnen lassen. "Wie kommst du dann raus?", frage ich. "Na, durch die Seitentür." – "Aber da können die Einbrecher doch auch rein", wende ich ein. "Stimmt", sagt er, "aber daran denken die nicht."

Alles klar?

Mit dem Wohnmobil kann man Ferien machen, ohne Urlaub zu nehmen, und das ist das Allerbeste daran. Unter der Woche nach Feierabend einfach 20 Minuten rausfahren aus der Stadt, da kommt dann, egal wo man lebt, viel Grün. Man sieht, wie der Sturm den Nebel durch die Tannen presst, sieht Blitze, die den Himmel spalten, bemerkt zu spät die offene Seitentür, schaufelt mit dem Kehrblech Hagelkörner aus dem Innenraum und freut sich am Regenbogen nach dem Gewitter. Eingehüllt in Decken guckt man aus der Heckklappe, hört die Grillen, und dann und wann irrlichtert ein Glühwürmchen aus den Wiesen. Jessas, wie lange ist das her, dass ich zum letzten Mal ein Glühwürmchen gesehen habe?

Wenn ich an die Marken meiner Tage gelange, will ich mit meiner schönsten Frau der Welt im Campingbus nach Rimini fahren. Einen Walzer auflegen, barfuß über den Strand tanzen und dann in Ruhe sterben. "Du Volldepp", sagt Uli, der einen noch viel älteren VW-Bus hat und damit in einer ganz anderen Gewichtsklasse spielt, "mach das doch gleich!"
https://www.zeit.de/2020/34/camping-woh ... mpingplatz
Grüße vom Galloperflüsterer ohne Galloper

Beda

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Re: Camping: Heimvorteil

Beitrag von unbemerkt »

Moin Beda,

und hab einen Dank für Deinen schönen "Link".

Das hat der Ulrich Stolte aber schön geschrieben, man bekommt richtig Lust auf mehr Minimalismus und "brauch ich alles nicht".

mit Grüßen von Kay
Ich brauche keine Uhr. Ich habe Zeit. (ein Berber, als ich ihm meine Uhr feilbot)

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Re: Camping: Heimvorteil

Beitrag von Schlappohr »

unbemerkt hat geschrieben:man bekommt richtig Lust auf mehr Minimalismus und "brauch ich alles nicht".
Lieber Kay, so ganz ohne Sitzmobiliar, Tisch und Kaffeevollautomat? :mrgreen:

Schmunzelgrüsse
Florian
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Re: Camping: Heimvorteil

Beitrag von 4x4tourer »

Moinmoin,

was für ein schöner Bericht! Er spricht mir aus der Seele. Grad heute erst hab ich einen freien Tag genutzt und bin mit dem Dangel mal eben 30km weiter in die Heide rübergerutscht....und hab da witzigerweise Ilka um nur ein paar Minuten an einm Parkplatz am Heiderand verpasst....Erst schön mit dem Bike eine Runde durch die blühende Heide und danach mit dem Dangel ins Grün verdrückt, Klappi raus, Käffchen gekocht, Füße hoch, Wolken bestaunen...herrlich!!
Und der Bericht bestätigt, warum ich mittlerweile mehr mit dem kleinen Dangel unterwegs bin, als mit dem L. Er reicht einfach völlig und ich bin damit noch flexibler und unauffälliger unterwegs und sparsamern und somit umweltfreundlicher auch noch.....

minimalistische aber trotzdem herzliche Grüße vom DD
L300....der bessere Bulli! ;-p
lieber dangeln als dengeln ;-)
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L300 Bj.90 2.4L Benziner
Dangel 4x4-Berlingo Bj.08 1.6L Hdi Diesel
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